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Channel: Meine Saison mit dem SVW » 8. Spieltag
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Betriebsausflug

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Bayern München – Werder Bremen 6:0 (4:0)

Man sollte meinen, dass man als Werderfan nach den letzten Jahren seine Erwartungen und Ansprüche schon genug heruntergeschraubt hätte. Nach der fußballerisch miserablen letzten Hinrunde und dem ebenso schwachen Start ins Jahr 2014 dachte ich, dass wir die Talsohle des Bremer Niedergangs inzwischen durchschritten hätten. Nach acht Spieltagen der neuen Saison muss man festhalten, dass die Leistungssteigerung im Frühling und die damit verbundenen Hoffnungen für 2014/15 wohl nur ein Zwischenhoch waren. Werder steht auf dem letzten Platz der Tabelle und das zu Recht.

Kein Torschuss, kein Offensivkonzept

Ein Spiel in München, gegen den nominell haushoch überlegenen ehemaligen Konkurrenten FC Bayern, taugt nach Meinung vieler nicht als Maßstab für Werders Leistung und ist insofern ein Spiel außer Wertung. Das sehe ich komplett anders. Zwar machte die Mannschaft durchaus den Eindruck, dass dieses Spiel und das Ergebnis für Werder nicht groß von Bedeutung wären, doch gerade das macht es so wichtig: Das letzte Feigenblatt, das Robin Dutt zuletzt als letztes Argument gegen eine Entlassung noch vorgehalten wurde, nämlich die gute Einstellung und Mentalität der Mannschaft, ist nun weggefallen.

Zur Einordnung der Niederlage genügen die nackten Zahlen nicht, obwohl die zweifelhafte Ehre, als erstes Team seit Anbeginn der Datenerhebung 1993 ohne einen einzigen Torschuss ein Spiel bestritten zu haben, bereits für sich spricht. Vor einem Jahr durfte ich das historische 0:7 gegen die Bayern im Stadion verfolgen, doch selbst in jenem Spiel zeigte Werder eine marginal bessere Leistung als an diesem achten Spieltag. Offensiv lässt sich Werders Spiel mit dem Hinweis auf das einzige Stilmittel, das seit Dutts Amtsantritt konsequent zur Anwendung kommt, vollständig beschreiben: Abstöße, Abschläge und lange Pässe an die linke Seitenauslinie bei gleichzeitiger Überladung der linken Spielfeldhälfte. Das Problem ist nicht, dass dieses Stilmittel per se schlecht wäre (auch wenn es freilich gegen Bayern nicht funktionierte), das Problem ist, dass es, wie leider viel zu oft, das einzige erkennbare offensive Stilmittel war. Die Offensive kann daher getrost als nicht existent bezeichnet werden.

Angst fressen Defensive auf

Gegen den Ball, was gegen Bayern fast die gesamte Spielzeit beinhaltet, spielte Werder zu Beginn noch einigermaßen variabel und versuchte bei Gelegenheit, etwas weiter in die gegnerische Hälfte zu verschieben und mutiger den Spielaufbau der Bayern anzulaufen (von Angriffspressing will ich nicht unbedingt sprechen). Spätestens nach dem 0:1 war es damit jedoch vorbei. Werder verteidigte passiv in einem tiefen 4-5-1 mit dennoch absurden Lücken im zentralen Mittelfeld. Soll es Hoffnung machen, dass die Vereinsführung nach dem Ruiz-Transfer in der Winterpause lechzt, während man vor der Abwehr Woche für Woche vor Augen geführt bekommt, dass man den Ausfall von Bargfrede nicht kompensieren kann? Ich kann mir kaum vorstellen, dass Eggestein und Fröde aus Werders U23 in der Bundesliga ein schwächere Leistung auf den Platz bringen könnten, als Kroos und Makiadi es als Doppel-Nicht-Sechs gegen Bayern getan haben. Wie man sich in einer so tief verteidigenden Mannschaft als defensiver Mittelfeldspieler so häufig aus der Position ziehen lassen kann, ist mir ein Rätsel.

Es wäre jedoch unfair, nur die beiden hervorzuheben, denn Normalform erreichten gegen die Bayern höchstens Di Santo und Lukimya – was bei Letzterem bedeutete, dass er sich nahtlos ins Leistungsgefüge einreihte. Fußballclown Elia demonstrierte bis zur Pause einige Male seine Schwächen in der Ballverarbeitung und durfte danach duschen gehen. Die Einwechslung von Busch als zweiten Rechtsverteidiger neben Fritz kann man mit sehr viel gutem Willen als taktischen Kniff bezeichnen, um ein noch schlimmeres Debakel zu verhindern. Ich frage mich vielmehr, wie Dutt auf die wahnsinnige Idee kommen konnte, wieder jeglicher Vernunft die rechte Seite mit Fritz und Bartels zu besetzen, einer Kombination, die schon mehrfach ihre Untauglichkeit bewiesen hat.

In der Defensive – also jenem Mannschaftsteil, der laut Dutts Aussage immer mehr Fortschritte macht – stehen inzwischen alle Spieler neben sich. Garcia spielt eine bislang unterirdische Saison, Prödl knüpft langsam an seine Leistungen aus der Spielzeit 2012/13 an und Lukimya ist nun einmal Lukimya. Fritz ging bei seinem Comeback als Kapitän voran und hob vor dem 0:5 vorbildlich den Arm, nachdem er zuvor selbst das Abseits aufgehoben hatte (Gerüchten zufolge gibt es zwischen ihm und Prödl einen Urheberrechtsstreit um dieses Markenzeichen). Caldirola ist nach seinen schwachen Leistungen zum Saisonstart bei Dutt anscheinend dauerhaft in Ungnade gefallen, während Galvez, dem sein Wechsel zu Werder langsam wie ein böser Traum vorkommen dürfte, weiterhin den Aushilfssechser spielen muss. Ob Wolf wenigstens einen der sechs Schüsse auf sein Tor hätte halten müssen, möchte ich an dieser Stelle gar nicht diskutieren, aber auch er spielt, trotz eines Ausreißers nach oben gegen Freiburg, eine deutlich schlechtere Saison.

Die Krise verschärft sich

Wer angesichts dieser Leistung weiterhin auf die Idee kommt, dass Werder aktuell nicht wie ein Tabellenletzter spiele, sollte mehr Bundesligaspiele schauen. Der vor der Saison als sicherer Absteiger gehandelte SC Paderborn ist in München weitaus besser aufgetreten. Gegen Werder musste Bayern in den 90 Minuten nur selten das eher gemächliche Spieltempo erhöhen und konnte Werder quasi im Vorbeigehen aus dem Stadion passen. Ein einfacheres Spiel werden sie in dieser Saison kaum noch absolvieren dürfen und vermutlich auch keine einfachere Trainingseinheit. Vermutlich hätte man gegen Bayern auch mit einer deutlich besseren Leistung nicht gepunktet, doch das Ergebnis ist für die Bestandsaufnahme tatsächlich zweitrangig.

Es lässt sich immer mehr erkennen, dass Werder einem gefährlichen Trend folgt: Erst hielten sich Stärken und Schwächen noch die Waage, dann verschärften sich die Unzulänglichkeiten, während die Stärken nicht über ein paar Ansätze hinausgingen - gerade noch sichtbar genug, um sich öffentlich darauf zu berufen. Wie zu befürchten war, hinterlassen die ständigen Rückstände langsam Spuren bei der Mannschaft. Werder lag in dieser Saison von 720 Spielminuten ganze 15 in Führung. Das ängstliche Spiel gegen Bayern hat gezeigt, dass der Glaube an die eigene Stärke schwindet, was angesichts der Ergebnisse nicht verwunderlich, trotzdem aber sehr gefährlich ist. Neben der strukturellen Krise, in der sich Werder nach wie vor befindet, steckt man derzeit auch in einer ganz akuten sportlichen Krise, die keineswegs nur eine Ergebniskrise ist. Die Mannschaft mag vom Potenzial her ins Mittelfeld der Liga gehören, von den durchschnittlich gezeigten Leistungen her jedoch nicht.

Dutt muss gehen – doch wann?

Noch scheuen sich die Verantwortlichen die Reißleine zu ziehen. Man will schließlich nicht Werders guten Ruf als langfristig denkender Verein, bei dem einem Trainer Zeit gegeben wird, weiter ramponieren und mit jeder Trainerentlassung wird man mehr zu einem “normalen” Verein. Und wenn man angesichts von 43 Punkten und 88 Gegentoren in 42 Bundesligaspielen unter Dutt auch bei einer weniger kurzfristigen Betrachtung wenige Argumente für den Verbleib des Trainers findet, ist im Fußball manchmal trotzdem kurzfristiges Handeln gefragt. Werder ist nach durchaus vielversprechendem Saisonbeginn in eine Krise geschlittert und kann sich schlichtweg nicht erlauben, bis zur Winterpause auf eine Kehrtwende zu hoffen und dann erst zu reagieren. Anders als die meisten anderen Vereine läuft Werder nicht Gefahr, einen Trainer zu früh oder unüberlegt zu entlassen, sondern, aus oben genannten Gründen, zu lange an ihm festzuhalten. Hinzu kommt, dass Eichin wohl selbst nicht so sicher im Sattel sitzt, dass er mehr als einen Trainerwechsel in dieser Saison überstehen würde, von den finanziellen Implikationen ganz abgesehen. Der Trainerwechsel, egal wann er kommt, muss sitzen.

Das Spiel gegen Köln dürfte dennoch zum Endspiel für Robin Dutt werden. Ich kann diese Entscheidung aus Sicht des Vereins verstehen, halte sie sportlich aber für falsch. Unabhängig vom Ausgang des Spiels gegen Köln braucht Werder einen neuen Trainer. Robin Dutt hat sich durch einige fragwürdige Entscheidungen in eine Sackgasse manövriert. Er hält an einem defensiv anfälligen 4-4-2 ohne eigenen Spielaufbau fest und setzt auf eine Spielweise mit vielen hohen Bällen, bei der man selbst als Fan des Vereins kaum darauf hoffen mag, dass sie Erfolg hat. Moderner Fußball – Gegenpressing hin oder her – sieht anders aus. Hinzu kommen fragwürdige Personalentscheidungen und zunehmende Sturheit, die ich beim Pragmatiker Dutt in der letzten Saison so nicht erlebt habe. Auf der Habenseite stehen Verbesserungen im Gegenpressing und (im Vergleich zur letzten Saison) bei den Abläufen im Angriffsdrittel. Das ist, mit Verlaub, eine ziemlich schlechte Bilanz für einen Trainer.

Es liegt mir eigentlich fern, den Kopf eines Trainers zu fordern, doch meiner Meinung nach führt kein Weg daran vorbei, Robin Dutt zu entlassen – und das möglichst bald.

Der Artikel Betriebsausflug wurde veröffentlicht auf Meine Saison mit dem SVW.


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